Unternehmenskommunikation: Ein Plädoyer für mehr Klarheit
Die Kommunikationsbranche hat einen eigenwilligen Hang entwickelt, ihrer angestammten Aufgabenstellung, die keinen wirklich wesentlichen Änderungen unterliegt, mit immer neuen Begrifflichkeiten den Charm des Neuen, Innovativen zu geben, und – so darf vermutet werden – nur noch Insider wissen, was all die vielen Begriffe bedeuten, und wie sie sich von anderen abgrenzen. Und wahrscheinlich nicht einmal die. Ein Blick in die einschlägigen Magazine und Publikationen der PR- Branche oder auf die Internetseiten von Agenturen lässt den Eindruck einer babylonischen Sprachverwirrung entstehen.
In George Orwells Roman „1984“ führt die herrschende Partei ein durch gezielte Veränderungen der überkommenen Sprache entstandenes Idiom ein. Es heißt „Newspeak“. Sein Ziel ist es, die Anzahl und das Bedeutungsspektrum der Wörter zu verringern, um die Kommunikation der Bevölkerung in enge, kontrollierte Bahnen zu leiten. Newspeak führt dazu, daß nicht Wahrheit und Klarheit dominieren, sondern das, was die Engländer „spin“ nennen: die bewußte Verdrehung, Umdeutung – vor allem auch Verschönerung – von Begriffen.
Im Deutschen sind die „Raumpflegerin“ (statt „Putzfrau“) und der „Auszubildende“ (statt „Lehrling“) frühe, allgemein bekannte Beispiele für den Versuch, Dinge schöner zu reden als sie sind. Heute bedient man sich für das sprachliche Frisieren vor allem englischer Begriffe. Daß „Push-up-BH“ netter klingt und bei dem einen oder anderen freudigere Assoziationen weckt als „Stütz-BH“, mag noch hingehen. Bei unzähligen anderen Euphemismen und Anglizismen kann man aber schon einmal ein Fragezeichen machen: Da wird aus dem Kundenberater der „Client Relationship Manager“, Fertiggerichte begegnen uns als „Convenience Food“, Rationalisierungsprojekte werden als „Lean Management“ verkauft, auf dem „Kick-Off-Meeting“ (vulgo: Auftaktveranstaltung) spricht nicht der Hauptredner, sondern der „Keynote Speaker“ – und Unternehmenskommunikation heißt heute „Corporate Communications“, systematisches Themenmanagement und frühzeitiges Erkennen von Chancen und Risiken kommt als „Issues Management“ daher und Krisenkommunikation wird als „Crisis Preparedness & Response Management“ erst richtig bedeutend.
Womit wir beim Thema sind. Auch die Kommunikationsbranche hat ihr eigenes Newspeak entwickelt und – so darf vermutet werden – nur noch Insider wissen, was all die vielen Begriffe bedeuten und wie sie sich von anderen abgrenzen. Und wahrscheinlich nicht einmal die. Ein Blick in die einschlägigen Magazine und Publikationen der PR-Branche oder auf die Internetseiten von Agenturen läßt den Eindruck einer babylonischen Sprachverwirrung entstehen. Zum Beispiel „Finanzkommunikation“: Für sie finden sich Begriffe wie „Analyst Relations“, „Capital Markets Communication“, „Corporate Finance Communications“, „Financial Communications“, „Financial Relations“, „Financial Services Communications“, „Investor Relations“ und – um auch einmal eine weitere deutsche Variante anzufügen – „Kapitalmarktkommunikation“. Es soll hier nicht diskutiert werden, welcher dieser Begriffe der passendste oder gar der richtige ist. Es soll hier lediglich das Bewußtsein dafür geschärft werden, daß sich die Branche mit Blick auf einen konsistenten, verständlichen Auftritt nach außen – v.a. gegenüber Kunden – keinen Gefallen tut, wenn in inflationärer Weise die Worterfindungsmaschine angeworfen wird.
Sie war auch in besonderem Maße im Einsatz, betrachtet man die vielen „Kommunikationsdisziplinen“, deren kreative Wortschöpfungen alle mit „Corporate“ beginnen: „Corporate Advertising”, „Corporate Affairs“, „Corporate Attitude“, „Corporate Behaviour“, „Corporate Brand Kommunikation“, „Corporate Branding“, „Corporate Change Communication“, „Corporate Citizenship“, „Corporate Communications“, „Corporate Design“, „Corporate Finance Communications“, „Corporate Human Resources & Relations“, „Corporate Identity“, „Corporate Image“, „Corporate Media Management“, „Corporate Positioning“, „Corporate Publishing“, „Corporate Reputation Management“, „Corporate Social Responsibility“, „Corporate Wording“. Da soll sich noch einer auskennen. Wohlgemerkt: Auch hier soll nicht in Abrede gestellt werden, daß einige der genannten Begriffe durchaus relevant sind. Es geht um die schiere Menge. Und sie stiftet Verwirrung.
Unter dem Strich kann festgehalten werden, daß es für jede Kommunikationsdisziplin nicht nur einen, nicht nur zwei, nein drei, vier oder gar mehr Begriffe gibt, die alle ähnlich klingen. Ob sie auch das gleiche meinen, wissen nur die, die diese Begriffe erdacht haben. Überhaupt Kommunikationsdisziplinen. Hier ist man in den letzten Jahren besonders erfinderisch gewesen. Kaum daß es irgendeinen „Trend“ gibt, irgendeine publizitätsträchtige Entwicklung, und schon sind die Erfinder neuer „Kommunikationsdisziplinen“ am Werk. So entstehen plötzlich Angebote für z.B. „Sustainability Communications“ und zuletzt „Litigation PR“. Wer wollte denn auch bestreiten, daß es für prozeßbegleitende Kommunikationsmaßnahmen etwa im Falle des Mannesmann-Prozesses einer besonderen „Kommunikationsdisziplin“ bedarf? Diese Entwicklung bringt am Ende so seltsame Blüten hervor wie „Business Advantage Marketing“ oder „Interventions-Press- & Public Affairs”.
Ehedem handelte es sich bei dieser Art Ausdifferenzierung womöglich um die sprachliche Abkehr von biblischer Kargheit („Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was drüber ist, das ist vom Übel.“ Matthäus 5, 37). Nun aber ist die Entwicklung an der anderen Seite des Möglichkeitenspektrums angelangt. Die englisch „getunte“ Phrasenorgel spuckt beinahe im Tagesrhythmus eine Pseudoneuigkeit nach der anderen aus, die zweierlei verbergen helfen soll: Zum einem die dahinterliegende Denkfaulheit, nach den verbindenden Lösungen und Begriffen für situativ unterschiedliche Kommunikationsnotwendigkeiten zu suchen; zum anderen die Tatsache, daß es sich bei dem englischen Wortgeklingel in vielen Fällen um nichts anderes handelt als um den Versuch, alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen.
Genug damit. Um es klar zu sagen: Diese Art der sprachlichen Vervielfältigung des immer Gleichen ist ein Irrweg! Daß es an der Zeit ist, sich ein „Weniger ist mehr“ auf die Fahnen zu schreiben, darauf haben zuletzt auch berufene Münder hingewiesen. „Bei der PR-Arbeit“, so etwa Heiner Springer von Bayer, „ist die Besinnung auf bewährte Tugenden gefordert: Kreative Themenauswahl, Servicebereitschaft, Schnelligkeit. Verzicht auf ‚fancy news’ und zurück zu ‚bread and butter’.“[1] Und jüngst forderte Elke Neujahr das „Ende mit den auf die Spitze getriebenen Ausdifferenzierungen konstruierter Kommunikationsdisziplinen der 90er Jahre. Kommunikation muß einfach (gemacht) werden, (…).“[2] Zurück zu „Brot und Butter“ und „Kommunikation muß einfach gemacht werden“!
Nehmen wir das beim Wort und fragen wir, worum es in Sachen Kommunikation für Unternehmen eigentlich geht. Zunächst: Für Unternehmen sind in diesem Zusammenhang zwei Aspekte besonders beachtenswert. Zum einen: Unternehmen sind beschränkt autonom. Ihr Verhalten muß in das jeweilige Umfeld hineinpassen und von den Adressaten akzeptiert werden. Nur so kann der unternehmerische Handlungsspielraum optimal genutzt werden. Diese Wechselwirkung zwischen Unternehmen und Umfeld wird entscheidend von Kommunikation beeinflußt. Zum anderen: Kommunikation findet statt, unabhängig davon, ob sich eine Organisation dessen bewußt ist oder nicht, ob sie sich aktiv darum kümmert oder sie passiv geschehen läßt. Da man sich nicht nicht verhalten kann, kann man auch nicht nicht kommunizieren (P. Watzlawick).
Mit Blick auf Kommunikation liegt die Aufgabe von Unternehmen im allgemeinen darin, Verständnis und Vertrauen für das unternehmerische Entscheiden und Handeln zu gewinnen und auszubauen. Durch sachliche und kompetente Information will sie Transparenz schaffen und Glaubwürdigkeit herstellen. Verständnis, Vertrauen, Transparenz und Glaubwürdigkeit sind die Säulen, auf denen produktive und nachhaltige Beziehungen ruhen. Und Beziehungen zu schaffen ist die Grundform der gesellschaftlichen Kommunikation (H. Avenarius).
Darüber hinaus stehen Unternehmen im besonderen in einem dauernden Wettbewerb um sowohl quantitative wie qualitative Aspekte der Wahrnehmung. In quantitativer Hinsicht stehen sie vor der Aufgabe, für ihre Interessen und Ihre Leistungen Aufmerksamkeit zu erzielen. Bei Adressaten, deren Erlebniswelt mit Information übersättigt ist. „Hinter der überschwemmenden Informationsflut“, so G. Franck, „steckt die entfesselte Geschäftstätigkeit der Beschaffung von Aufmerksamkeit.“ Neben diesem Wettbewerb um die knappe Ressource Aufmerksamkeit konkurrieren sie in qualitativer Hinsicht um positive Einstellungen und Bewertungen auf den Meinungsmärkten.
Diesen Wettbewerb kann nur erfolgreich bestehen, wer sich
- erstens – nach außen – durch eine trennscharfe Positionierung vom Wettbewerb differenzieren und
- zweitens – nach innen – auf der Basis einer wertorientierten Zielsetzung Sinn und Orientierung (Identität) stiften kann und sich
- drittens aktiv und kontinuierlich der Aufgabe stellt, die relevanten Bezugsgruppen mit Nutzenargumentationen zu überzeugen.
Eine solchermaßen verstandene Differenzierungsstrategie wird maßgeblich durch Kommunikation gesteuert. Ihr Ziel: Bekanntheit, Ansehen und Profil. Bei diesen Imagedimensionen handelt es sich um Wettbewerbswerte! Sie drücken über den positiven oder negativen Wettbewerbsabstand die Stellung des Unternehmens gegenüber den wichtigsten Konkurrenten in definierten Märkten aus und sind folglich ergebnisrelevant. Damit wird deutlich, daß Kommunikation kein „weicher Faktor“ ist, nicht „nice to have“, sondern eine Investition in den Unternehmenswert darstellt.
Soweit die Herausforderungen und Aufgaben, vor denen Unternehmen in Sachen Kommunikation stehen. Wie sieht nun vor diesem Hintergrund das Feld der Unternehmenskommunikation aus? Es ist im Grunde recht übersichtlich. Unternehmen und Organisationen bewegen sich potentiell in verschiedenen Umfeldern und Märkten. Dort stehen sie in einem Dialog mit den jeweils für sie relevanten Zielgruppen, um neben einem kommunikativen auch ein politisches Ziel zu erreichen. Diese Konstellation läßt sich in wenige Kommunikationsdisziplinen unterteilen, die sich schließlich unter den schlichten Rubriken „Externe Kommunikation“ und „Interne Kommunikation“ subsumieren lassen (siehe Abb.).
Das Marktumfeld teilt sich in die Absatzmärkte und den Kapitalmarkt. Auf den Absatzmärkten sind vor allem Kunden, aber auch Lieferanten relevante Zielgruppen, auf dem Kapitalmarkt Investoren und Analysten. Zusammenfassend läßt sich dies als Marktkommunikation bezeichnen.
Das gesellschaftspolitische Umfeld konstituiert den öffentlichen Meinungsmarkt, auf dem vor allem Journalisten, Mandatsträger und andere Multiplikatoren angesprochen werden. Für diese Art der Kommunikation hat sich der Begriff der Öffentlichkeitsarbeit eingebürgert.
Schließlich setzen sich Unternehmen und Organisationen auf dem innerbetrieblichen Organisationsfeld mit dem internen Meinungsmarkt auseinander. Ihre Adressaten sind alle Mitglieder der Organisation, die sich sinnvollerweise in Mitarbeiter und Führungskräfte unterteilen lassen. Den Dialog mit diesem Publikum führt die Organisationskommunikation.
Marktkommunikation und Öffentlichkeitsarbeit bilden zusammen die Externe Kommunikation, Organisationskommunikation die Interne Kommunikation.
Um in Zeiten der Globalisierung der Lingua Franca „Englisch“ Genüge zu tun, sei der guten Ordnung halber erwähnt, daß vorstehende Einteilung und Benennung des Feldes der Unternehmenskommunikation zum Zwecke der besseren internationalen Vergleichbarkeit gleichermaßen in einer englischen Variante denkbar und – dort, wo es paßt – sinnvoll ist. Auch hier gilt dann: Klare Begriffe und Beschränkung auf das Notwendige. Egal ob nun Deutsch oder Englisch. „Was sich überhaupt sagen läßt“, so Ludwig Wittgenstein, „läßt sich klar sagen.“ Punkt.
Soweit ein Vorschlag zu der Aufforderung, zu „Brot und Butter“ zurückzukehren und Kommunikation „einfach“ zu machen. Zu diesem Vorschlag gehört erstens die Beantwortung der Frage, worum es für Unternehmen in Sachen Kommunikation eigentlich geht, und zweitens vor diesem Hintergrund ein Überblick über das Feld der Unternehmenskommunikation. Insgesamt wird damit eine Ordnung vorgeschlagen, die für mehr Klarheit sorgen soll.
Man wird gegen diesen Versuch möglicherweise einwenden, daß er nicht differenziert genug sei, die Komplexität der Verhältnisse nicht in ausreichendem Maße abbilde. Aber gerade das will dieser Vorschlag nicht. Es geht hier ausdrücklich darum, die Komplexität zu reduzieren, sich auf das zu beschränken, worauf es am Ende ankommt. Es geht um Orientierung, nicht um noch mehr Optionen. Damit soll nicht zuletzt ein Beitrag geleistet werden, um sich einem breiteren Auditorium in möglichst einfachen Worten verständlich zu machen. Und verstanden zu werden ist die Bedingung der Möglichkeit, daß Kommunikation als Branche und als Managementfunktion legitimiert und akzeptiert werden kann.
In diesem Zusammenhang darf schließlich an folgende Aufforderung von Arthur Schopenhauer erinnert werden: „Wer sich selber bis auf den Grund klar ist und ganz deutlich weiß, was er denkt und will, der wird nie undeutlich schreiben, wird nie schwankende, unbestimmte Begriffe aufstellen und zur Bezeichnung derselben aus fremden Sprachen höchst schwierige komplizierte Ausdrücke zusammensuchen, um solche nachher fortwährend zu gebrauchen.“
[1] Heiner Springer, Bayer AG, in: pr magazin, Nr. 1, 2003, S. 18
[2] PR Report, Nr. 01+02/2004, S. 14
Der Beitrag erschien in der Ausgabe IV/2004 der Zeitschrift kommunikationsmanager: Artikel „Die Ordnung der Unternehmenskommunikation. Ein Plädoyer für mehr Klarheit“ (2004)